Tierethik |
FAZ, 30. September 2008 , |
Lasst die Tiere in Würde
aussterben |
Wer zu Hause ein Meerschweinchen hat, sollte
es jetzt in menschlicher Würde sterben lassen. Oder ihm einen
Artgenossen zur Seite stellen. Ansonsten macht er sich strafbar. So
steht es im neuen Tierschutzgesetz, das nach jahrelangen
Diskussionen und Debatten von den Schweizern per Volksabstimmung
erlassen wurde und am 1. September dieses Jahres in Kraft getreten
ist. Es will verhindern, dass das einsame Meerschweinchen ein
trauriges Leben im Käfig führen muss. Weit über hundert Seiten umfasst die
Verordnung. In 226 Artikeln wird festgehalten, wie Hunderten von
Tierarten – einheimischen und importierten – ein artgerechtes Leben
zu ermöglichen sei. Für die Kühe wird die Stallfläche definiert. Das
Gehege der Hühner muss minimale Normen erfüllen – auch bezüglich der
Länge der Sitzstangen. Vögel brauchen gefederte Sitzmöglichkeiten.
Vom Licht im Stall und von den Erfrischungs- wie
Beschäftigungsmöglichkeiten ist die Rede. Das Einfrieren der
Goldfische im Eisschrank und das Entsorgen in der Toilette gelten
jetzt ausdrücklich als kriminelle Handlungen. „In den Vereinigten Staaten und in Australien,
in England und Italien macht man sich nur noch lustig über die
Schweiz“, entsetzt sich der Biologe Klaus Ammann. Er war Direktor
des Botanischen Gartens in Bern. Inzwischen hat er das Land, in dem
er eine rapide um sich greifende Wissenschaftsfeindlichkeit
ausmacht, verlassen und arbeitet in Delft. Den Spott der Welt der
Wissenschaft hat sich die Schweiz mit der „Würde der Pflanzen“
zugezogen. Sie wurde von der „Eidgenössischen Ethikkommission für
die Biotechnologie im Außerhumanbereich“ definiert: „Die Würde der
Kreatur gilt auch für Pflanzen. Ihre willkürliche Schädigung ist
moralisch unzulässig.“ Bernard Baertschi, Professor in Genf, ist
Mitglied dieser Ethikkommission: „Das neue Tierschutzgesetz basiert
auf der Einsicht, dass Tiere leidensfähige Wesen sind. Man darf
ihnen nicht leichtfertig Schmerzen zufügen. Man muss abwägen. Was
wiegt mehr: das Leiden, die Würde des Tieres oder unser
untergeordnetes Bedürfnis nach einem neuen kosmetischen Produkt?“
Was die Forscher als Wissenschaftsfeindlichkeit beklagen, hält er
für eine zivilisatorische Veränderung: „Die ersten Debatten um das
Wesen der Tiere gehen auf die Antike zurück. Kant hielt es am Ende
des achtzehnten Jahrhunderts für unmoralisch, ein Tier zu quälen.
Nicht aus Liebe zu ihm – er hielt dies für unvereinbar mit der Würde
des Menschen. Darwin eröffnete eine entscheidende Wende: Der Mensch
steht nicht außerhalb der Natur, er ist Teil der Evolution. Heute
wissen wir, wie viel wir genetisch mit den Affen gemein haben.
Unsere Wohlstandsgesellschaft erlaubt es uns, ohne große Verzichte
das Schicksal der Tiere zu verbessern. Früher befassten sich nur
Philosophen mit ihm – heute geht es alle an.“ Der umstrittene Philosoph Peter Singer will die Grenzen zwischen Mensch und Tier gänzlich aufheben. Die Emanzipation der Tiere müsse jener der Schwarzen, der Frauen und der Homosexuellen folgen. Singer war kürzlich in Bern, wo er das neue Tierschutzgesetz als beispielgebend für die ganze Welt lobte und wo Klaus Petrus als Philosophieprofessor lehrt. Petrus, Sohn eines Kleinbauern, ist landesweit bekannt. Mit dem Thema Tier befasst er sich seit dem Ausbruch des Rinderwahns. Die Massenschlachtungen und Kadaververbrennungen erschütterten ihn. Er gelangte zu der Einsicht, dass alle Zuchtprogramme abgebrochen werden müssten. Es darf weder Haus- noch Nutztiere geben. Lasst sie in Würde aussterben, rät der Philosoph den Zeitgenossen, und verzichtet dann auf jede Ausbeutung. Viele Zivilisationskrankheiten hätten mit dem Verzehr von Fleisch zu tun. Eine vegane Welt (ohne tierische Produkte) wäre der Lösung aller Umweltprobleme äußerst förderlich. Der Energieverbrauch würde gedrosselt, das Klima geschont, eine gerechtere Verteilung der Nahrungsmittel wäre die Folge. Die „NZZ am Sonntag“ widmete Klaus Petrus ein sympathisierendes Porträt und bescheinigte ihm „viel Ernsthaftigkeit“. Eine Ausbildung in Sachen Tierschutz und Ethik Selbst für die Animal Liberation Front (ALF) hat der Professor einiges übrig. Sie wird vom Verfassungsschutz als terroristische Vereinigung observiert. Sie will Tiere mit Gewalt aus den Versuchslabors befreien. Die ALF ist die radikalste einer Reihe von Organisationen, die in den vergangenen Jahren gegründet wurden. Der ursprünglich als Landschaftsschützer tätige Franz Weber war mit seinen „United Animal Nations“ ein Pionier. Deren internationaler „Tiergerichtshof“ führt regelmäßig Schauprozesse durch, vor ein paar Wochen in Genf war der Stierkampf auf der Anklagebank. Aber auch viele konkrete Projekte wurden lanciert. Ein Altlinker hat mit Fischern in Senegal das Unternehmen „Fair Fish“ aufgebaut. Für Greenpeace ist der Kampf gegen das Fleisch ebenfalls zur Priorität geworden: „Wir essen uns zu Tode.“ Die Boulevardzeitung „Le Matin“ wie das
Nachrichtenmagazin „L’Hebdo“ haben das „Ende des Schnitzels“
angekündigt. Auf der Schlachtbank werden die Schweine von Mozart in
den Tod begleitet und vor dem Schnitt in die Gurgel in kleinen
Gruppen sanft betäubt. Auch Schlachter müssen jetzt eine Ausbildung
in Sachen Tierschutz und Ethik absolvieren. Das gilt ebenso für die
Fahrer der Tiertransporte. Die Fleischindustrie begrüßt die
verschärften Bestimmungen und unterstützt die Reportagen über das
(verbesserte) Leben der Schweine als PR-Aktionen zur Rettung der
Branche. |