Zum Widerstand der BIs gegen
Massentierhaltung:
vorläufige Bilanz, Verbesserungsvorschläge
Von
Sybilla Keitel, Bürgerinitiative Kontra Industrieschwein Haßleben,
23.6.2010
In den vergangenen sechs Jahren – das ist die Zeit, in der ich gegen
Haßleben kämpfe – ist die industrielle Massentierhaltung von Schweinen,
Hühnern, Puten, Rindern, Nerzen, ja, seit neuestem sogar Ziegen,
geradezu explodiert. Wie ich höre, laufen zur Zeit 900 neue Anträge auf
Genehmigung von Massentierhaltungsanlagen, – nach Auskunft des
Landesumweltamtes Brandenburg werden nur ca. 15% davon abgelehnt. Sieht
man sich die jüngste Attac-Grafik (veröffentlicht im AbL-Rundbrief ) zu
der Anhäufung von Geflügelmastanlagen im Emsland an, wird einem
schlecht. In einer Tierschutzzeitung las ich den Kommentar einer alten
Dame: sie kämpfe nun schon ihr halbes Leben gegen die Massentierhaltung,
müsse aber nun an dessen Ende feststellen, dass es kaum etwas genützt
habe. Das macht mich sehr traurig und ist mit der Anlass zu diesem
Positionspapier: wir sollten überlegen, was anders laufen muss.
Fest steht: auch der Widerstand gegen die Überziehung Deutschlands mit
Massentierhaltung wächst merklich: es gibt erstaunlich viele BIs, die
sich wehren. Fest steht aber doch auch: wir kommen ganz offensichtlich
nicht an gegen das ungeheure Kapital, was einvernehmlich bewegt wird in
einer Allianz aus Investoren, Lobbyisten und Politikern; das Verhältnis
ist asymmetrisch bis zur Lächerlichkeit. Bürgerinitiativen kratzen ihr
Privatvermögen zusammen, um z.B. Gutachter oder einen Anwalt bezahlen zu
können, der die Umsetzung dessen, was gesetzgeberisch beschlossen und
fixiert ist ( z.B. Tierschutz, Emissionsschutz ), auch von Ämtern,
Ministerien, Landräten etc. einfordert, das mutet schon reichlich absurd
an. Und: welcher der spitzfindigen Trickserei ( z.B. der üblichen Praxis
von Ausnahmegenehmigungen ) juristisch etwas entgegensetzen kann.
Zweitens versuchen wir, so gut, wie wir können, die Öffentlichkeit zu
sensibilisieren bzw. zu mobilisieren mit Bildern, Texten, Aktionen,
Kontaktgesprächen mit Entscheidungsträgern, in der Regel mit maximalem
Einsatz neben dem Vollzeitjob, was angesichts professioneller
Kapazitäten auch irgendwie hilflos erscheint. Was wir erreichen, ist
dagegen minimal: vielleicht ein Aufschub, eine Reduzierung der
Tierplätze, eine Verbesserung der Filteranlagen, aber weltbewegend ist
das alles nicht. Trotz warnender Presseartikel auch über die Klimafolgen
des irrwitzig steigenden Fleischkonsums nimmt die Ausbeutung der Natur,
der Tiere und der Menschen für privaten Profit in rasendem Tempo zu,
Tendenzwende nicht in Sicht.
Das ist meine persönliche Bilanz nach sechs Jahren Kampfes auf allen
Ebenen: mit Worten, Fantasie, Kunst, Geld, Zeit und hoher Energie. Ich
frage mich also, wie ich/man weiterarbeiten kann, – dabei nützen mir
freundliche Ratschläge „Sie dürfen den Mut nicht verlieren“ o.ä., wie
sie mir letzte Woche erteilt wurden bei einem Treffen aller
Brandenburgischen BIs im Bundestag, leider wenig. An Mut fehlt es mir
ganz und gar nicht. Mir kommt vielmehr die Überzeugung abhanden, dass
mein und unser aller Handeln tatsächlich etwas bewegt und nicht nur
aktionistischer Selbstzweck ist, und deswegen denke ich über notwendige
strategische Veränderungen nach.
Wie also können wir unseren Widerstand als BIs verbessern ?
Nach meiner Überzeugung müssen wir zweigleisig fahren: das eine ist der
juristische Widerstand, das andere ist die Öffentlichkeitsarbeit. Auf
der Schiene „juristischer Widerstand“ ist meiner Ansicht nach keine
Steigerung möglich, es sei denn, wir finden einen Mäzen, der ein ganzes
Anwaltsbüro bezahlen kann, was nur von gegen die Massentierhaltung
kämpfenden Bürgerinitiativen lebt. Bei so vielen BIs allein in
Brandenburg müsste das aber schon eine Sozietät sein von mehreren
Anwälten. Dies Geld haben wir nicht, und das wissen auch die Investoren,
irgendwann ist auch finanziell Schluss. Mag sein, dass uns eines Tages
das in Aussicht gestellte Verbandsklagerecht hilft, dann können nämlich
auch der Tierschutzbund oder der BUND etc. Klage einreichen, aber im
Moment ist das noch nicht der Fall. Mit unserm bisschen Privatgeld ist
also die Ausweitung und Optimierung des Kampfes nicht zu finanzieren.
In der Annahme, dass man seine Stimme der politischen Partei gibt, die
entsprechende Gesetzesänderungen auf den Weg bringt, bleibt für uns also
nur die Öffentlichkeitsarbeit. Diese halte ich für extrem wichtig, auch
um das Bewusstsein der Verbraucher zu sensibilisieren. Auf dem
Widerstandsfest in Haßleben neulich habe ich tatsächlich auch zwei (
nette ! ) Leute getroffen, die erschüttert waren von den Informationen
und Bildern und ernsthaft angaben, noch nie ( ! ) was von den Zuständen
in solchen industriellen Anlagen gehört zu haben. So was gibt’s
tatsächlich, auf welchem Planeten die leben, weiß ich nicht. Also müssen
wir noch vielmehr als bisher alle Anstrengungen unternehmen, um genau
diese Leute aufzuklären, damit die überhaupt erstmal wissen, was los
ist. Es nützt nichts, dass wir frohe Plakate malen für
Widerstandsaktionen, auf denen wir uns gewöhnlich mit Gleichgesinnten
treffen, wir rennen ja immer nur offene Türen ein, müssten aber an
verschlossene Türen anklopfen, laut. Gewiss: es gibt gute
Öffentlichkeitsarbeit, ich erwähne nur die hervorragenden Flyer, Poster
und Zeitschriften von den Verbänden und Organisationen, beispielsweise
die von PROVIEH oder dem Deutschen Tierschutzbund oder BUND usw., die
wirklich gut gemacht sind, – inhaltlich wie optisch nichts zu meckern.
Nur wird dies Material ja hauptsächlich auch unter uns verteilt, und wir
verteilen es an halbwegs Überzeugte weiter, von denen jedenfalls keine
Prügel zu erwarten sind. Es müsste aber noch stärker an ganz andere
Adressaten gehen: die Post, die Polizei, die Unis, die Banken, die
Kunstvereine... Auch große Organisationen sollten diese Schwellen
übertreten, finde ich. Wir kommen meiner Ansicht nach nur weiter, wenn
wir erstens die üblichen Trampelpfade unserer „Naturschutzreservate“
verlassen und zweitens unkonventionelle, kreative, überraschende
Öffentlichkeitsarbeit machen für diejenigen, die nicht „Der Rabe Ralf“
lesen, im Bioladen einkaufen oder die GRÜNEN wählen. Denn die sind es,
die weiterhin, manchmal sogar ahnungslos, Fleisch aus Tierfabriken
essen, und an die müssen wir ran, sonst stehen wir in zehn Jahren noch
ungefähr da, wo wir heute sind.
Wie übertritt man diese Schwellen und mit welchen Mitteln ? Eine
Patentlösung, die ich aus der Tasche ziehen und anbieten könnte, habe
ich dafür auch nicht, würde mich aber unbedingt auf neues Terrain wagen,
Risiken eingehen, einfach weil ich überzeugt bin, dass es so wie bisher
nicht funktioniert. Im Gegenteil, die Tierqual wächst exponenziell,
während wir fernsehend zuschauen können, wie die ganze Welt für privaten
Profit verscherbelt und ruiniert wird. Diesen Zustand finde ich
unerträglich.
Neue Konzepte also sind gefragt. Was ich schon seit Jahren unermüdlich
sage, wiederhole ich auch an dieser Stelle, nämlich dass der Widerstand
mit einem Schlag in die Öffentlichkeit katapultiert würde mit einer
großformatigen Anzeige in einem überregionalen Medium ( DIE ZEIT,
SPIEGEL, STERN, FOCUS etc.), auf der nichts anderes steht als : „Kämpfen
Sie mit uns gegen Massentierhaltung !“ ( o.ä. ) und darunter alle Logos
der Verbände und BIs. Das ist teuer, aber ich halte das für total
eindrucksvoll, allein die Allianz der vielen Verbände, dann alle BIs (70
sind allein im Netzwerk „Bauernhöfe statt Agrarfabriken“ organisiert !
), das müssen die Leute draußen doch erstmal wissen ! Auch deswegen wäre
das eindrucksvoll, weil alle diese Unterzeichner gemeinsam beschlossen
haben, an die Öffentlichkeit zu gehen, was im Wortsinn ein Super-Signal
wäre. Deswegen auch, weil wir damit endlich rauskommen aus der Ecke
„Gutmenschen mit Protestliedern zur Gitarre“ und den Widerstand auf
diese Weise dort artikulieren, wo er hingehört, was ein Zeichen von
Professionalität wäre. Ich weiß, dass ich mit dieser Idee abgeblitzt bin
und immer, wenn ich das sage, ungefähr alle dagegen sind und den Kopf
schütteln, aber leider halte ich das Ressentiment gegen eine solche
Aktion für einen bedauerlich-kurzsichtigen Irrtum, weswegen ich den
Vorschlag hier nochmals begründe. Das Geld wäre gut investiert, – ich
schätze, rein betriebswirtschaftlich gesehen ersparte uns das Gewicht
einer solchen Aktion 5-10 Jahre mühsame Überzeugungsarbeit und bestimmt
dreimal soviel Geld. Alle würden von uns reden, wir hätten erstens eine
ganz andere Plattform, auf der wir nicht immer bei Adam und Eva anfangen
müssen, zweitens erhöhten wir mit einem Schlag den öffentlichen Druck.
Nun ja.
Noch eine andere Idee: wir gewinnen einen Promi und fotografieren ihn
für eine Anzeigenkampagne, oder gleich mehrere, kostet auch Geld. Ich
glaube auch hier, dass diese Investition sich lohnt. Man scheut sich
immer vor der Investition einer einmalig hohen Summe, bedenkt aber
nicht, dass man den gleichen Betrag oder sogar noch mehr im Laufe von
Jahren auch loswerden würde. Wenn alle zusammenlegten, müsste so was
doch möglich sein. So eine Kampagne würde uns allen nützen.
In diesem Zusammenhang, drittens: wir sollten eine gemeinsame
Öffentlichkeitsarbeit an eine Werbeagentur übergeben ( und diese
natürlich auch bezahlen ! ). Über Inhalte und Formen, Werbeträger etc.
entscheidet die Agentur natürlich nicht allein, sondern in
Zusammenarbeit mit dem Netzwerk, – so war es bei der Entwicklung des
BsA-Logos auch, was funktioniert hat. Ersparen würden wir uns auch
weitere Mengen mit rührenden Parolen bemalter Bettlaken, selbst wenn sie
noch so gut gemeint sind. Sie reizen allenfalls die Aufmerksamkeit
Gleichgesinnter.
Viertens: ich finde, dass wir an einem zentralen Ort ein riesiges,
bundesweites, überregionales Widerstandsfest gegen Massentierhaltung
organisieren sollten, wo alle ( !) kommen, auch das habe ich schon vor
Jahren gesagt... Unsere Anstrengungen auf regionaler Ebene neulich in
Haßleben haben sich anscheinend sehr gelohnt. Wieso sollten wir es nicht
schaffen, in Berlin oder Hannover ein wundervolles bundesweites Festival
gegen die Massentierhaltung mit Musik und Kunst hinzukriegen ? Gab’s so
was schon mal ? Meines Wissens nicht. Also machen wir es. Ich bin
überzeugt, dass sich da sehr viele Prominente dranhängen würden, wenn
die Organisation erstmal steht, Publicity haben sie immer gern, dann
kommt sicher auch jemand wie Elke Heidenreich oder Dieter Moor ....
Bilanz: wir sind nun alle mittlerweile prima
miteinander vernetzt, wie man an den vielen Hilferufen und Berichten
sieht, die uns durch Ekkehardt Niemann für das Netzwerk immer auf den
Bildschirm flattern, und das ist gut so, – ein erster Schritt. Ich
erfahre von der gruseligen Akkumulation von Geflügelmastanlagen im
Emsland, wovon mir schlecht wird, und den Emsländern wird – hoffentlich
– übel von dem, was in Ostdeutschland los ist. Nur dürfen wir es nicht
länger bei dem allgemeinen solidarischen Lamento belassen, sondern
müssen den zweiten Schritt tun und handeln. Das Heilmittel gegen diese
Beschwerden heißt: nichts wie raus an die bundesweite Öffentlichkeit.
Ich persönlich würde alles dazu beitragen, sowas zu stemmen. Das täte
ich mit hoher Energie und gern, wenn ich vom Sinn unseres Handels
überzeugt wäre. Sinnvoll finde ich allerdings strategische Maßnahmen,
die über den eigenen Tellerrand weit hinausgehen, denn es geht mir nicht
nur um Haßleben. Was mir aber angesichts der Dimensionen, mit denen wir
es zu tun haben, mittlerweile als unsinnig erscheint – und das gilt
sicherlich für alle „erfahrenen“ BIs –, ist, unbeirrt weiter Geld wie
Zeit in gewiss engagierte, aber aussichtslose Anstrengungen zu stecken,
während der Investor sich ins Fäustchen lacht. Hinter den Kulissen ist
der Deal längst in Sack und Tüten, – das bisschen Ungeziefer, nun ja,
wird einen nicht weiter jucken, gehört doch ein wenig Protestfolklore
immer dazu ...
Fazit: unser Kampf müsste konzertiert geführt bzw.
gemanagt werden und sich mit kreativen, professionalisierten Konzepten
an neue Zielgruppen wenden, und zwar demnächst, wenn wir Erfolge noch
erleben wollen. Mir ist klar, dass ich meine Position schon an vielen
Stellen geäußert habe und sie somit für manchen nichts Neues ist,
meinetwegen hab ich also für den Papierkorb geschrieben. Ich hoffe
trotzdem, dass sich der eine oder andere findet, dessen Lagebeurteilung
ähnlich ausfällt, der den Widerstand auch mal analysiert und bilanziert,
vielleicht zu anderen Einschätzungen kommt als ich, aber dabei neue Wege
für das Weiterkämpfen ausfindig machen kann. |