Tierethik

 

Aus:
Tiere sehen dich an - oder das Prinzip Mengele
Hans Wollschläger 1987

 
 

Sie werden in Gefängniszellen gehalten, so eng wie die Stehsärge von Oranienburg; das Licht, das ihnen morgens aufgeht, kommt von der Neonröhre, die angeht; ihre Grundlebensbedürfnisse werden mit der chemischen Keule niedergeschlagen, ihre Grundtriebe ebenso an- und abgestellt, Fortpflanzung und Nachkommenaufzucht auf perverse Art mechanisiert. Ihr einziger Daseinszweck: Selbstaufzucht, Selbstvervielfältigung. Haftpsychosen sind die Regelfolge, Selbstmordversuche; die Lebensdauer, die ihnen zugebilligt wird, liegt tief unter ihrer natürlichen Lebenserwartung; das Urteil, Begnadigung ausgeschlossen, lautet generell auf Lebenslänglich.

Es ist die Rede von Tieren, nicht von Menschen. Die Unterschiede sind bekannt, wenn sie auch vom Menschentier überschätzt werden; der Nicht-Unterschied (um selbst auf der psycho-vegetativen Ebene nicht von jener »Gleichheit« zu reden, die auch innerhalb der Menschenart eine heikle Behauptung wäre): elementare Sensibilität gegenüber Perversionen in der Ordnung des lebendigen; Geltung des Lustprinzips; Leidensfähigkeit. Wer das bestreitet, dementiert seine eigene Erfahrungs- und Wahrnehmungssensibilität; er widerspricht zudem den Erkenntnissen unserer ersten Verhaltensforscher wie Konrad Lorenz und steht, mit nichts als seinem Selbstinteresse in Händen, als frech anmaßender Idiot da. Als Selbstbetrüger oder Heuchler steht da, wer sich auf Unwissenheit herausredet. Denn es gibt mittlerweile eine umfangreiche Literatur darüber, und für die 30 Prozent Analphabeten, die keine Bücher lesen können, haben auch Fernsehen und Zeitschriften das Nötige getan; um selbst die verklebtesten Augen aufzusperren: für eine Greuel- und Grauensperspektive, ohnegleichen, so weit die Erde reicht und die Welterscheinung von Menschenhand bestimmt Wird. Wer in sie hineinschaut, mit allen Sinnen, den seelischen wie den intellektualen, auch jenen, die durch ein paar Lebensfreuden sonst noch leidlich ablenkbar sind, kommt am Ende um alle Fähigkeit, seines Mitlebens froh zu werden -:

Was in den Zucht- und Schlachtanstalten der sogenannten zivilisierten Nationen geschieht, gehört, alles erwogen, zu dem wohl stärksten Verbrechen, das zurzeit auf Erden zu registrieren ist; es gehört mit zu einem Problem von allergrundsätzlichster Bedeutung.

Es ist die Rede von Tieren ~ einigen, vielen: von Hühnern, Kälbern, Schweinen; nicht von Menschen. Aber es ist ersichtlich ein Menschenproblem, und das heißt, daß seine Lösung auf eine Vernunft angewiesen bleibt. die, hier wie anderswo, einen buchstäblich unzureichenden Grund darstellt, es zu lösen: - wäre es ein Tierproblem, mit umgekehrten Rollen, so hätte es der tierische »Instinkt«, Platzhalter vieler »humaner« Eigenschaften, vermutlich längst gelöst. Es ist ein Menschenproblem, und das heißt: es prallt bei seinen tastend kriechenden Lösungsversuchen unweigerlich an jener Grenze ab, wo die Herrschaft des Stammhirns und seiner Grundantriebe beginnt, der elementaren Komponenten des Willens zur Macht: Habgier, Gewinnsucht, Fraß-Süchtigkeit im weitesten wie im engsten Sinn.

.... nicht nur daß die fleischproduzierenden Tiere ein reines Stapellager von Toxika sind, die ihnen von den Profitzüchtern eingestopft werden, - sie stellen auch, im Fall des Massenverzehrs Schweinefleisch, eine direkte Giftquelle dar - (wer's nicht weiß, setze sich); die abendländische Medizin, deren Denken ziemlich dumm ist, beginnt in dieser Hinsicht - wenigstens in ihren besten Köpfen - allmählich die Uralt-Einsichten orientalischer Natur-Völker einzuholen.

...... wie wäre es, wenn die Greuel der Massentierhaltung und -verwertung noch direkteren Anteil hätten am globalen Problem unserer zweiten Jahrhunderthälfte, nämlich der industriell betriebenen Intoxikation des gesamten Planeten und seiner Lebenssysteme? »Die Natur« ist jedenfalls mit dem Lebenssystem Mensch auf weit mehr Ebenen funktionell verbunden als denjenigen eines grob materiellen Energiemetabolismus - : wie. wenn ins Wechselwirkungsspektrum auch Kräfte gehörten, die man bislang gemächlich ins seelische Irgendwo zu separieren gewohnt ist? Was zeigt sich an, wenn gegen den drohenden Zusammenbruch der Waldvegetation zuerst »das Gemüt« rebelliert? Gegen welchen drohenden Zusammenbruch rebelliert »der Geschmack«? Eier von Batteriehühnern schmecken ja nicht nur wie Dreck, sie sind es vermutlich auch, nämlich weil riskant, giftig, schädlich -: sollte es vielleicht sein können, daß sich die Existenzqual ihrer Erzeuger (und das sind eben leider nicht die Händler-Lumpen, die sich gern so nennen und denen man sie gönnte, sondern deren Opfer) - daß sich diese Qual selbst in ihnen manifestiert hat - und sich, als infinitesimale (aber desto tiefer wirksame?) Dosis Angst, Schmerz, »Tod«, beim Verzehr übermittelt? Wenn der Organismus über die vegetative Steuerung oder noch andere Signalnetze durch Leiden funktionell, ja organisch verändert wird. bis hin zum Herzarrest im Streß der Schlachthausumwelt, wieso sollte die sich derart manifestierende Destruktionskraft nicht mit den Organen selbst vom Fresser inkorporiert werden - zu seinem unabsehbaren, weil sich endlos akkumulierenden Schaden? Eine Verbindung zwischen den Leiden der Tiere und den sich pandemisch verbreitenden psychischen Krankheiten ihrer menschlichen Mittiere, gar deren täglich unbändigerer Bösartigkeit zu sehen, ist vielleicht weit weniger absurd, als der nüchterne Blick sich einbildet.

 Wir haben von dem, was »Natur« wirklich meint, wie von dem gesamten Energiephänomen »Leben«, einstweilen noch schlechterdings keine Ahnung; aber das blasierte Lächeln der mechanistischen Wissenschaften ähnelt bereits erkennbar fatal der Miene des Innenministers, wenn er den Super-GAU für unbedenklich erklärt, weil der sich 2000 Kilometer entfernt zugetragen habe, oder der jenes unbeschreiblichen Ministerpräsidenten, der die Strahlungsgefahren mit denen des Alkohols vergleicht. Wir leben in einer Umwelt großspurigster Ignoranz und Inkompetenz; sie haben längst auch die Enährungswirtschaft zu einem Albtraum gemacht.

Das stärkste Verbrechen, vernunftswidrig mit Sicherheit, lebenswidrig wahrscheinlich -: wie, nochmals, kommt es, daß mit ihm nicht fertig zu werden ist? Müßte einem, wo schon ein so scheinbar primitiver Widerstand wie die - nicht einmal natürlich vorgegebene, sondern bloß erworbene - Eßgewohnheit soviel Vernünftigkeit zur Kapitulation zwingt, nicht um die ganze Weltvernunft angst und bange werden? Ist noch auf die Überwindung von Übelständen zu rechnen, wenn dieser eine, zentrale für unverzichtbar erklärt werden muß? Die tolle dumme Vokabel, wie eigens geschaffen für die Zungen von Politikern, damit sich an ihren faustdicken Behauptungen wenigstens die Sprache noch angemessen rächen kann, ist ja ein unzweideutiges Code- und Signalwort fürs Motiv des Eigennutzes, der sich, weil er sich unvermeidlich erkennbar am gesellschaftlichen Ganzen vergreift, als Gemeinnutz darstellen muß - : wie, wäre das Problem am Ende so platitüdenhaft einfach, daß wieder einmal globales Unglück nur deshalb da ist, weil ein paar tausend Schieber um jeden Preis prosperieren wollen? Also Handel und Industrie, das Heil-Hitler der Gegenwart -: der einzige Grund? Tatsächlich ist ja die Aufgabe, den Egoismus jener zu überwältigen. deren Ego für die soziale Weltharmonie längst ein gefährliches Neoplasma bildet, in diesem Jahrhundert ins Gigantische gewachsen -: man muß diesen simpelsten Nenner suchen, um zu erkennen, wie restlos alle hochgestochenen Kritischen Theorien in ihr aufgehen; man muß diesen kompliziertesten Nenner finden, um zu sehen, was alles sich im Widerstand der primitiven Eßgewohnheit sträubt - was alles von ihr in wachsender Perversion gegen Vernunft und Leben vertreten wird.

Man möchte ja gern daran glauben, es warte auch in Deutschland irgendwo am Ende der Evolution das Bewußtsein, daß dem von Tod und Todesnutzung lebenden Massentierhalter eine Bannmeile des Ekels gebührt wie ehemals dem Henker und daß, wer lebendige, mitlebende Wesen so behandelt wie er, in der moralischen Ordnung tief unter der Küchenschabe rangiert; vielleicht versteigt sich die Entwicklung, und sei es ultimo, dann gar so weit, daß sich selbst der Fleischfresser als Auftraggeber und Hehler eines Verbrechens begreift. Man möchte daran glauben.