Tierethik

 
 

 

eine Rede
 wider die Massentierhaltung
von Sybilla Keitel

 
 

Sybilla Keitel: Redemanuskript für „free the pigs!“ am 26. Februar 2006

 

Liebe Anwesende ! Vor ca. zwei Jahren hat sich eine Bürgerinitiative zusammengefunden, um etwas gegen den Wahnsinn einer geplanten industriellen Schweinemastanlage von 85000 Tieren im Ort Haßleben in der Uckermark zu unternehmen, die ein holländischer Investor dort betreiben will.

Wir wissen, dass das für die hochsensiblen und intelligenten Tiere ein einziges Martyrium von wenigen Lebensmonaten bedeutet, die zwischen Geburt und Schlachtung vergehen, die sie in drangvoller Enge, in abgedunkelten Boxen und in bestialischem Gestank zubringen müssen. Die Sauen in Einzelkästen, die unterschiedlich benannt werden (mal „Kastenstand“, mal „Selbstfangfressstand“ ) und so eng, wie Sie es hier sehen, in denen sie sich zweieinhalb Jahre lang, so lange, wie ihr kurzes Leben dauert, nicht einmal umdrehen können, von Elke Heidenreich auch zutreffend als „Stehsärge“ bezeichnet. Die Tiere sehen nie das Licht der Welt, sie sind nicht einziges Mal an frischer Luft, sie sehen in ihrem kurzen Leben nicht ein einziges Mal die Sonne. Wir wissen, dass die bereits schwer geschädigten Böden schon bis in die Tiefe von 5 Metern mit Gülle aus Massentierhaltung zu DDR-Zeiten kontaminiert sind.
Wir wissen, dass wir mit dem Getreide, dem Kohl, den Kartoffeln, die auf diesen Böden wachsen müssen, alle die in der Gülle enthaltenen Medikamente, z.B. Antibiotika zu uns nehmen, und dass davon unsere Gesundheit beeinträchtigt wird. Wir wissen, dass durch die Gülle, die nun wieder auf die Äcker ausgebracht werden soll, die Seen umkippen werden und Fische sterben, so wie es vor der Wende der Fall war. Und wir wissen, dass der Wald stirbt, weil er nicht ein Gramm Stickstoff zusätzlich mehr verträgt. All dies ist schon lange kein Wissen von Spezialisten mehr, man braucht einfach nur die Zeitungen zu lesen oder fernzusehen. Jeder kann es wissen , denn jeder kann sich zusammenreimen, was hier geschieht. Wie aber ist es möglich, dass dieser ökologische Wahnsinn gegen jede Erfahrung und Vernunft, ja, wider besseres Wissen und Gewissen erneut von Politik und Behörden, in diesem Fall dem Ministerium in Potsdam unter Herrn Minister Woidke, gefördert wird ?
Und wie ist es möglich, dass dies gegen gültige Gesetze, teilweise mit Billigung gültiger Gesetze (!) in aller Öffentlichkeit geschieht, von der man doch einen kollektiven Aufschrei erwarten müsste ? Wie ist es möglich, dass man , in einer angeblich zivilisierten Gesellschaft, grausame Tierqualen duldet, das Wohl der Menschen aufs Spiel setzt und eine mühsam sich erholende Natur opfert ? Damit ein holländischer Investor, der in seinem eigenen Land solche Anlagen nicht mehr bauen darf, seinen Profit bei uns machen kann ? Weil er der gebeutelten Region 50 Arbeitsplätze im Dumpinglohnbereich versprochen hat ? Sind wir wirklich so weit, dass wir, wie die Gubener, die nun Menschen plastinieren, über Leichen gehen, wenn’s nur Arbeit gibt, egal, welche ? Und sei’s auch, dass wir dabei kräftig an dem eigenen Ast sägen, auf dem wir sitzen, weil wir höchstens bis morgen, aber nicht bis übermorgen denken können ?

Der Wahnsinn geht aber noch viel weiter:
wir haben sehr bald gemerkt, dass die geplante Schweinefabrik in Haßleben nur die Spitze eines Eisbergs ist. Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit sind nämlich holländische Investoren dabei, überall in den neuen Bundesländern weitere gigantische Schweinemastanlagen zu errichten, z. T. im Abstand von nur 7 km, so in Allstedt, Mahlwinkel, bei Pletz in der Altmark ..., und es werden bereits Schlachthöfe gebaut wie in Weißenfels, die jeden Tag 20 000 (!!!!!!!!!!) Tiere töten und schlachten können. Kein Mensch kann sich eigentlich so etwas vorstellen wie jeden Tag 20 000 Tiere , dieser Schlachthof ist mehr als ein Albtraum, leider, ich denke, es ist die reale Hölle. Überall in Ostdeutschland protestieren auch Bürgerinitiativen, mit denen wir inzwischen gemeinsam kämpfen. Wir sehen uns aber einer übermächtigen Allianz aus Investoren, Politik und Behörden gegenüber, die gebetsmühlenartig immer wieder die gleiche Formel aufsagen, die „Wachstum und Beschäftigung“ heißt. Wohin wir denn noch wachsen, und das heißt ja wohl, konsumieren sollen, wenn die Böden ausgelaugt sind, der Urwald abgeholzt ist, die fossilen Brennstoffe zur Neige gehen und bereits die USA und China um die letzten Ölreserven kämpfen , wird verschwiegen: nach uns die Sintflut. Und so regiert auch hier nicht die Weisheit der Nachhaltigkeit, sondern der schnelle Profit in Gestalt einer weltweit operierenden Fleischmafia. Diese wird angeführt von der Firma Smithfield Carolina, die in den Vereinigten Staaten innerhalb von 20 Jahren bereits die meisten kleinen bäuerlichen Schweinemastbetriebe in den Ruin getrieben hat und deren Aktionären es völlig wurst ist, ob irgendwo auf der Welt die Gesundheit der Menschen aufs Spiel gesetzt wird und deren Lebensraum zerstört wird. Es herrscht nur noch das Gesetz des Marktes, und das heißt Profitmaximierung, - welch ein schönes altes Wort, und die erreicht man am besten durch größtmögliche „Entlassungsproduktivität“ -, welch ein schönes neues Wort. Auf die Schweinemastfabriken bezogen heißt das: nur noch ca. 50 Arbeiter sollen täglich zweimal 85 000 Tiere auf ihren Gesundheitszustand hin observieren, können Sie sich das überhaupt vorstellen ?
Ich nicht.
Wie aber kann es angehen, dass die Menschen mit Gleichgültigkeit reagieren? Erstens sind sie in ihrer Gesundheit existenziell bedroht, weil ihnen bald im akuten Notfall kein Antibiotikum mehr helfen wird, da sie es bereits tagtäglich mit der Nahrung aufnehmen und die Bakterien damit nur besonders widerstandsfähig gemacht haben. Jeder Krankenhausaufenthalt und erst recht jede Operation werden dadurch zum erhöhten Risiko. Die Ärzte schlagen schon lange Alarm, es steht auch öfters mal in den Zeitungen, aber passieren tut nicht wirklich etwas. Zweitens wird ihr Lebensraum, man kann ruhig sagen : ihre Heimat, immer mehr zerstört und zur Verantwortung an abwesende Konzerne und private Eigentümer übergeben, die aus diesem Lebensraum kurzfristig Kapital schlagen wollen. Das ist mit Wohnungen so, das ist mit ihrem Grund und Boden so, mit den Wäldern und Seen, schließlich wird noch das Wasser privatisiert und bald die Luft zum Atmen.
Drittens kenne ich kaum Menschen, die nicht wenigstens seufzend bis angewidert mit den Schultern zucken, wenn es um das Grauen in der Massentierhaltung geht. Warum also wehren sich nicht alle Menschen gegen etwas, was ohne ihr Einverständnis geschieht, was ihnen schadet und wogegen sich auch ihr natürliches Empfinden sträubt wie im Falle der industriellen Tierproduktion ?
Jeder weiß oder ahnt doch zumindest, was da passiert, aber man ist bemüht, es nicht zu sehr an sich heranzulassen, hat man nicht genug Probleme... Außerdem sind die Bilder schlicht unerträglich und verfolgen einen im Schlaf. Es nützt aber nichts, wenn wir wegsehen. Wir helfen den Tieren nur, wenn wir das, was tunlichst abgeschirmt von der Öffentlichkeit wird, ganz bewusst wahrnehmen. Das betrifft die Qualen der Massentierhaltung, das betrifft die unsäglichen, abscheulichen Umstände, unter denen Tiere transportiert werden, z.T. bis in die arabischen Länder, wo sie fast tot ankommen, Hauptsache, das Herz schlägt noch, dann gibt’s Geld. Das betrifft ebenso die Umstände auf den Schlachthöfen, wo die Tiere , wahnsinnig vor Angst, versuchen auszubrechen. Die Menschen mögen so etwas nicht hören und sehen, und wenn es mal eine Reportage darüber gibt, wird sofort umgeschaltet. Von gutwilligen Journalisten höre ich: das drückt sofort auf die Quote: also lässt man’s. Es ist erstaunlich, wie vieles trotzdem noch über die Mattscheibe kommt. Ich glaube, wenn man alle Menschen nur einmal pro Monat über den Schlachthof jagte, würde sich ihr Verhältnis zu den Tieren und auch ihr unmäßiger Fleischkonsum signifikant ändern.
Ein Grund für das Schweigen der Menschen liegt also wieder mal im Wegsehen und Verdrängen dessen, was man nicht sehen will, weil man es nicht ertragen kann.
Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum diese unerträglichen Zustände weiterhin geduldet werden: die Menschen haben sich eine Art Hilfskonstruktion gebaut, mit der sie leben können. Sie besteht darin, Unterschiede zu machen zwischen den Tieren, die sie lieben und zu ihren Hausgenossen gemacht haben - und sei es auch nur auf dem Fernsehschirm - und denen, die sie durch eine Art Umetikettierung zu „Nutztieren“ herabgestuft haben, welche dann auch keinen Anspruch mehr auf eine ihnen angemessene Behandlung haben. Auf diese Weise können sich Hunderttausende von dem „Schweinchen Babe“ verzaubern lassen, weil sie sehen, dass sie es ersichtlich mit einem freundlichen, zutraulichen, sensiblen und lernfähigen Geschöpf zu tun haben, dessen Artgenossen man in Kinderbauernhöfen anzutreffen hofft. Gleichzeitig wird darauf gepocht, das Schnitzel zu Dumpingpreisen zu erwerben, was nur durch tierquälerische Massentierhaltung möglich ist. Aber: das sind ja nur die Nutztiere. Da erhält das Haustier einen persönlichen Grabstein mit einem Spruch , und gleichzeitig akzeptiert man Zustände, in denen Rindern, Schafen, Geflügel, Tieren in Versuchslabors, Tieren in Pelztierfarmen ein tagtägliches Martyrium beschieden ist. Und was noch frei herumläuft und Gewinn bringt, wird zum gnadenlosen Töten freigegeben wie z.B. Robben oder Wale ... Was letztere betrifft, wurden allein im 20. Jahrhundert 300 000 erlegt. Über den Wert eines getöteten Blauwals wird in Dollars und Cent verhandelt, ausschließlich orientiert an den Marktpreisen für Walfleisch und Walöl. Die Devise lautet: tötet die Wale und investiert das Geld ! Wie absurd mutet es da an, dass, - ich zitiere hier eine Schlagzeile vom Januar dieses Jahres - , Millionen von Zuschauern Zeugen einer dramatischen Rettungsaktion wurden, in deren Mittelpunkt ein in der Themse verirrter Entenwal stand, den man mit einem Hubschrauber , eingebettet in dick aufgepustete Schwimmelemente, auf ein Rettungsschiff hievte, um ihn im offenen Meer wieder auszusetzen. Die Kosten der Aktion: 150 000 Euro. Die Anteilnahme der Bevölkerung sei rührend gewesen, schrieb die Zeitung, auf den Namen „Prince of Whales“ wurde das Tier sogar getauft, und als es schließlich vorzeitig verendete durch den ganzen Stress, sah man, dass es eine junge Walprinzessin war, oh wie süß, oh wie traurig . Die Londoner weinten. Gleichzeitig erklärten die Japaner , sie wollten in diesem Jahr doppelt so viele Wale töten wie im letzten Jahr, ungeachtet der Tatsache, dass es bald wohl keine mehr geben wird. Ja, sind wir noch bei Trost ?
Nur diese Bewusstseinsspaltung indes ermöglicht eine relativ ungerührte Fortsetzung der Tierquälerei von sogenannten „Nutztieren“. Sobald sich der Mensch einem einzelnen Exemplar gegenübersieht, wird er gewahr, dass es sich hier um ein Lebewesen handelt, welches auf ihn reagiert, worüber er sich meistens freut. Er erkennt das Mitgeschöpf, er nimmt eine Beziehung zu ihm auf, und er gibt ihm einen Namen. Dass in den Ställen Millionen dieser Mitgeschöpfe vor sich hinvegetieren, wäre ein sehr nahe liegender Gedanke, allerdings ein so folgenreicher, dass man ihn lieber nicht zuende denken mag: was wäre, wenn sich die anonymen Nutztiere als ebensolche sensiblen und lernfähigen Tierindividuen erwiesen ? Nicht auszudenken !

Es gibt noch einen weiteren Grund dafür, dass sich am Umgang des Menschen mit dem Tier nichts ändert: Tierschutz gilt als „uncool“. Dieser Satz fiel , - und ich denke, das ist eine sehr gute Charakterisierung der Lage -, als ich mich bei einer renommierten und für ihre politische Arbeit geschätzten Berliner Bühne um ein Diskussionsforum zum Thema „Massentierhaltung“ bemühte. Tierschutz ? Müdes Abwinken. Uncooles Thema. Das sagte mir eine befreundete Frau , die mit zur Leitung des Theaters gehört und mit unserem Anliegen total solidarisch ist: hat leider kaum Chancen. In was für einer idiotisch „vergletscherten“ Gesellschaft sind wir denn eigentlich angekommen, in der es „uncool“ ist, Mitgefühl zu haben, in der es aber anscheinend supercool ist, aggressiv auf der Bühne zu agieren ? Wie irregeleitet das doch ist: Coolsein und Aggressivsein als ästhetische Konvention, wie wenig Raum das lässt für Nachdenklichkeit und Kurskorrekturen , und : wie viel Arroganz steckt dahinter angesichts des unsäglichen Leids der Tiere.

Zurück zu Haßleben.
Wir haben damit angefangen, uns gegen die industrielle Schweinemastanlage zu wenden, und wir sahen, dass es dabei nicht bleiben kann.
Es geht mitnichten nur um Haßleben, welches allerdings zum Präzedenzfall wird. Es geht auch um den ganzen Osten Deutschlands, und geht es weit über Deutschlands und Europas Grenzen hinaus, was hier passiert. Es geht auch nicht nur um die Bedingungen der Tierhaltung. Es geht um unsere Böden, die ohnehin geschädigt sind, und deren Erträgen offensichtlich nur noch mit genmanipuliertem Saatgut Wachstum abgepresst werden kann, anstatt dass sie sich regenerieren können. Es geht um unsere Ernährung, es geht um unsere Gesundheit, um den Wald, die Luft, das Wasser, es geht schließlich um die Bedingungen des Hungers in der Dritten Welt, - ja, es geht um die ganze Erde, und das ist überhaupt nicht pathetisch gemeint, sondern der sehr ernüchternde Gedanke am Ende. Es ist ein Kulturkampf.
Wenn ich biblisch denken würde, - und hier bin ich ja in einer Kirche und da kann man das ja ruhig auch mal als Laie tun, - so würde ich sagen: die Menschen tun nichts ungestraft. Schweine- und Geflügelpest, BSE und Vogelgrippe : die Natur schlägt zurück, weil wir so nicht mit ihr und ihren Geschöpfen umgehen dürfen. Noch lieber möchte ich aber ein Zitat Artur Schopenhauers benutzen. Wer Schopenhauer ein wenig kennt, der weiß, dass man es hier gewiss nicht mit einer naiv- sentimentalen Natur zu tun hat. Schopenhauer sagt, zweihundert Jahre vor dieser Veranstaltung:
" Die vermeintliche Rechtlosigkeit der Tiere, der Wahn, dass unser Handeln gegen sie ohne   moralische Bedeutung sei ... ist geradezu eine empörende Rohheit und Barbarei des Occidents“....
Wobei er heute wohl nicht mehr „Occident“ sagen würde, sondern wahrscheinlich Industrienationen, d.h. der Nationen, die ihre Verbindung zur Natur verloren haben.

Mir selbst bleibt noch, zu sagen, dass wir Sie um Ihre Mithilfe und Unterstützung bitten, ideell oder materiell. Wir tun wirklich, was wir können, aber wir sind nur eine kleine Bürgerinitiative, und natürlich sind wir in einem Kampf zwischen David und Goliath.

Wenn Sie hinausgehen, sehen Sie, dass wir hier eine Aktion gestartet haben:“ Perlen für die Säue“. Wir bitten Sie herzlich um eine Spende in beliebiger Höhe. Dafür erhalten Sie eine von unseren „Perlen für die Säue“ zum Anstecken. Wir hoffen, dass bald halb Deutschland mit so einem Zeichen der Verbundenheit mit den gequälten Tieren herumläuft.
John Sawhill, verstorbener Präsident der amerikanischen Naturschutzorganisation, hat einen eindrucksvollen Satz gesagt, den ich gern an Sie weitergeben will:


„Letztlich wird unsere Gesellschaft nicht allein danach beurteilt werden, was wir geschaffen haben, sondern auch danach, was wir nicht zu zerstören bereit waren.“

In diesem Sinne meine ich es konkret und symbolisch: free the pigs !