Liebe Anwesende ! Vor ca. zwei Jahren hat sich eine
Bürgerinitiative zusammengefunden, um etwas gegen den Wahnsinn einer
geplanten industriellen Schweinemastanlage von 85000 Tieren im Ort
Haßleben in der Uckermark zu unternehmen, die ein holländischer Investor
dort betreiben will.
Wir wissen, dass das für die hochsensiblen und intelligenten Tiere ein
einziges Martyrium von wenigen Lebensmonaten bedeutet, die zwischen
Geburt und Schlachtung vergehen, die sie in drangvoller Enge, in
abgedunkelten Boxen und in bestialischem Gestank zubringen müssen. Die
Sauen in Einzelkästen, die unterschiedlich benannt werden (mal
„Kastenstand“, mal „Selbstfangfressstand“ ) und so eng, wie Sie es hier
sehen, in denen sie sich zweieinhalb Jahre lang, so lange, wie ihr
kurzes Leben dauert, nicht einmal umdrehen können, von Elke Heidenreich
auch zutreffend als „Stehsärge“ bezeichnet. Die Tiere sehen nie das
Licht der Welt, sie sind nicht einziges Mal an frischer Luft, sie sehen
in ihrem kurzen Leben nicht ein einziges Mal die Sonne. Wir wissen, dass
die bereits schwer geschädigten Böden schon bis in die Tiefe von 5
Metern mit Gülle aus Massentierhaltung zu DDR-Zeiten kontaminiert sind.
Wir wissen, dass wir mit dem Getreide, dem Kohl, den Kartoffeln, die auf
diesen Böden wachsen müssen, alle die in der Gülle enthaltenen
Medikamente, z.B. Antibiotika zu uns nehmen, und dass davon unsere
Gesundheit beeinträchtigt wird. Wir wissen, dass durch die Gülle, die
nun wieder auf die Äcker ausgebracht werden soll, die Seen umkippen
werden und Fische sterben, so wie es vor der Wende der Fall war. Und wir
wissen, dass der Wald stirbt, weil er nicht ein Gramm Stickstoff
zusätzlich mehr verträgt. All dies ist schon lange kein Wissen von
Spezialisten mehr, man braucht einfach nur die Zeitungen zu lesen oder
fernzusehen. Jeder kann es wissen , denn jeder kann sich zusammenreimen,
was hier geschieht. Wie aber ist es möglich, dass dieser ökologische
Wahnsinn gegen jede Erfahrung und Vernunft, ja, wider besseres Wissen
und Gewissen erneut von Politik und Behörden, in diesem Fall dem
Ministerium in Potsdam unter Herrn Minister Woidke, gefördert wird ?
Und wie ist es möglich, dass dies gegen gültige Gesetze, teilweise mit
Billigung gültiger Gesetze (!) in aller Öffentlichkeit geschieht, von
der man doch einen kollektiven Aufschrei erwarten müsste ? Wie ist es
möglich, dass man , in einer angeblich zivilisierten Gesellschaft,
grausame Tierqualen duldet, das Wohl der Menschen aufs Spiel setzt und
eine mühsam sich erholende Natur opfert ? Damit ein holländischer
Investor, der in seinem eigenen Land solche Anlagen nicht mehr bauen
darf, seinen Profit bei uns machen kann ? Weil er der gebeutelten Region
50 Arbeitsplätze im Dumpinglohnbereich versprochen hat ? Sind wir
wirklich so weit, dass wir, wie die Gubener, die nun Menschen
plastinieren, über Leichen gehen, wenn’s nur Arbeit gibt, egal, welche ?
Und sei’s auch, dass wir dabei kräftig an dem eigenen Ast sägen, auf dem
wir sitzen, weil wir höchstens bis morgen, aber nicht bis übermorgen
denken können ?
Der Wahnsinn geht aber noch viel weiter:
wir haben sehr bald gemerkt, dass die geplante Schweinefabrik in
Haßleben nur die Spitze eines Eisbergs ist. Weitgehend unbeachtet von
der Öffentlichkeit sind nämlich holländische Investoren dabei, überall
in den neuen Bundesländern weitere gigantische Schweinemastanlagen zu
errichten, z. T. im Abstand von nur 7 km, so in Allstedt, Mahlwinkel,
bei Pletz in der Altmark ..., und es werden bereits Schlachthöfe gebaut
wie in Weißenfels, die jeden Tag 20 000 (!!!!!!!!!!) Tiere töten und
schlachten können. Kein Mensch kann sich eigentlich so etwas vorstellen
wie jeden Tag 20 000 Tiere , dieser Schlachthof ist mehr als ein
Albtraum, leider, ich denke, es ist die reale Hölle. Überall in
Ostdeutschland protestieren auch Bürgerinitiativen, mit denen wir
inzwischen gemeinsam kämpfen. Wir sehen uns aber einer übermächtigen
Allianz aus Investoren, Politik und Behörden gegenüber, die
gebetsmühlenartig immer wieder die gleiche Formel aufsagen, die
„Wachstum und Beschäftigung“ heißt. Wohin wir denn noch wachsen, und das
heißt ja wohl, konsumieren sollen, wenn die Böden ausgelaugt sind, der
Urwald abgeholzt ist, die fossilen Brennstoffe zur Neige gehen und
bereits die USA und China um die letzten Ölreserven kämpfen , wird
verschwiegen: nach uns die Sintflut. Und so regiert auch hier nicht die
Weisheit der Nachhaltigkeit, sondern der schnelle Profit in Gestalt
einer weltweit operierenden Fleischmafia. Diese wird angeführt von der
Firma Smithfield Carolina, die in den Vereinigten Staaten innerhalb von
20 Jahren bereits die meisten kleinen bäuerlichen Schweinemastbetriebe
in den Ruin getrieben hat und deren Aktionären es völlig wurst ist, ob
irgendwo auf der Welt die Gesundheit der Menschen aufs Spiel gesetzt
wird und deren Lebensraum zerstört wird. Es herrscht nur noch das Gesetz
des Marktes, und das heißt Profitmaximierung, - welch ein schönes altes
Wort, und die erreicht man am besten durch größtmögliche
„Entlassungsproduktivität“ -, welch ein schönes neues Wort. Auf die
Schweinemastfabriken bezogen heißt das: nur noch ca. 50 Arbeiter sollen
täglich zweimal 85 000 Tiere auf ihren Gesundheitszustand hin
observieren, können Sie sich das überhaupt vorstellen ?
Ich nicht.
Wie aber kann es angehen, dass die Menschen mit Gleichgültigkeit
reagieren? Erstens sind sie in ihrer Gesundheit existenziell bedroht,
weil ihnen bald im akuten Notfall kein Antibiotikum mehr helfen wird, da
sie es bereits tagtäglich mit der Nahrung aufnehmen und die Bakterien
damit nur besonders widerstandsfähig gemacht haben. Jeder
Krankenhausaufenthalt und erst recht jede Operation werden dadurch zum
erhöhten Risiko. Die Ärzte schlagen schon lange Alarm, es steht auch
öfters mal in den Zeitungen, aber passieren tut nicht wirklich etwas.
Zweitens wird ihr Lebensraum, man kann ruhig sagen : ihre Heimat, immer
mehr zerstört und zur Verantwortung an abwesende Konzerne und private
Eigentümer übergeben, die aus diesem Lebensraum kurzfristig Kapital
schlagen wollen. Das ist mit Wohnungen so, das ist mit ihrem Grund und
Boden so, mit den Wäldern und Seen, schließlich wird noch das Wasser
privatisiert und bald die Luft zum Atmen.
Drittens kenne ich kaum Menschen, die nicht wenigstens seufzend bis
angewidert mit den Schultern zucken, wenn es um das Grauen in der
Massentierhaltung geht. Warum also wehren sich nicht alle Menschen gegen
etwas, was ohne ihr Einverständnis geschieht, was ihnen schadet und
wogegen sich auch ihr natürliches Empfinden sträubt wie im Falle der
industriellen Tierproduktion ?
Jeder weiß oder ahnt doch zumindest, was da passiert, aber man ist
bemüht, es nicht zu sehr an sich heranzulassen, hat man nicht genug
Probleme... Außerdem sind die Bilder schlicht unerträglich und verfolgen
einen im Schlaf. Es nützt aber nichts, wenn wir wegsehen. Wir helfen den
Tieren nur, wenn wir das, was tunlichst abgeschirmt von der
Öffentlichkeit wird, ganz bewusst wahrnehmen. Das betrifft die Qualen
der Massentierhaltung, das betrifft die unsäglichen, abscheulichen
Umstände, unter denen Tiere transportiert werden, z.T. bis in die
arabischen Länder, wo sie fast tot ankommen, Hauptsache, das Herz
schlägt noch, dann gibt’s Geld. Das betrifft ebenso die Umstände auf den
Schlachthöfen, wo die Tiere , wahnsinnig vor Angst, versuchen
auszubrechen. Die Menschen mögen so etwas nicht hören und sehen, und
wenn es mal eine Reportage darüber gibt, wird sofort umgeschaltet. Von
gutwilligen Journalisten höre ich: das drückt sofort auf die Quote: also
lässt man’s. Es ist erstaunlich, wie vieles trotzdem noch über die
Mattscheibe kommt. Ich glaube, wenn man alle Menschen nur einmal pro
Monat über den Schlachthof jagte, würde sich ihr Verhältnis zu den
Tieren und auch ihr unmäßiger Fleischkonsum signifikant ändern.
Ein Grund für das Schweigen der Menschen liegt also wieder mal im
Wegsehen und Verdrängen dessen, was man nicht sehen will, weil man es
nicht ertragen kann.
Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum diese unerträglichen
Zustände weiterhin geduldet werden: die Menschen haben sich eine Art
Hilfskonstruktion gebaut, mit der sie leben können. Sie besteht darin,
Unterschiede zu machen zwischen den Tieren, die sie lieben und zu ihren
Hausgenossen gemacht haben - und sei es auch nur auf dem Fernsehschirm -
und denen, die sie durch eine Art Umetikettierung zu „Nutztieren“
herabgestuft haben, welche dann auch keinen Anspruch mehr auf eine ihnen
angemessene Behandlung haben. Auf diese Weise können sich
Hunderttausende von dem „Schweinchen Babe“ verzaubern lassen, weil sie
sehen, dass sie es ersichtlich mit einem freundlichen, zutraulichen,
sensiblen und lernfähigen Geschöpf zu tun haben, dessen Artgenossen man
in Kinderbauernhöfen anzutreffen hofft. Gleichzeitig wird darauf
gepocht, das Schnitzel zu Dumpingpreisen zu erwerben, was nur durch
tierquälerische Massentierhaltung möglich ist. Aber: das sind ja nur die
Nutztiere. Da erhält das Haustier einen persönlichen Grabstein mit einem
Spruch , und gleichzeitig akzeptiert man Zustände, in denen Rindern,
Schafen, Geflügel, Tieren in Versuchslabors, Tieren in Pelztierfarmen
ein tagtägliches Martyrium beschieden ist. Und was noch frei herumläuft
und Gewinn bringt, wird zum gnadenlosen Töten freigegeben wie z.B.
Robben oder Wale ... Was letztere betrifft, wurden allein im 20.
Jahrhundert 300 000 erlegt. Über den Wert eines getöteten Blauwals wird
in Dollars und Cent verhandelt, ausschließlich orientiert an den
Marktpreisen für Walfleisch und Walöl. Die Devise lautet: tötet die Wale
und investiert das Geld ! Wie absurd mutet es da an, dass, - ich zitiere
hier eine Schlagzeile vom Januar dieses Jahres - , Millionen von
Zuschauern Zeugen einer dramatischen Rettungsaktion wurden, in deren
Mittelpunkt ein in der Themse verirrter Entenwal stand, den man mit
einem Hubschrauber , eingebettet in dick aufgepustete Schwimmelemente,
auf ein Rettungsschiff hievte, um ihn im offenen Meer wieder
auszusetzen. Die Kosten der Aktion: 150 000 Euro. Die Anteilnahme der
Bevölkerung sei rührend gewesen, schrieb die Zeitung, auf den Namen
„Prince of Whales“ wurde das Tier sogar getauft, und als es schließlich
vorzeitig verendete durch den ganzen Stress, sah man, dass es eine junge
Walprinzessin war, oh wie süß, oh wie traurig . Die Londoner weinten.
Gleichzeitig erklärten die Japaner , sie wollten in diesem Jahr doppelt
so viele Wale töten wie im letzten Jahr, ungeachtet der Tatsache, dass
es bald wohl keine mehr geben wird. Ja, sind wir noch bei Trost ?
Nur diese Bewusstseinsspaltung indes ermöglicht eine relativ ungerührte
Fortsetzung der Tierquälerei von sogenannten „Nutztieren“. Sobald sich
der Mensch einem einzelnen Exemplar gegenübersieht, wird er gewahr, dass
es sich hier um ein Lebewesen handelt, welches auf ihn reagiert, worüber
er sich meistens freut. Er erkennt das Mitgeschöpf, er nimmt eine
Beziehung zu ihm auf, und er gibt ihm einen Namen. Dass in den Ställen
Millionen dieser Mitgeschöpfe vor sich hinvegetieren, wäre ein sehr nahe
liegender Gedanke, allerdings ein so folgenreicher, dass man ihn lieber
nicht zuende denken mag: was wäre, wenn sich die anonymen Nutztiere als
ebensolche sensiblen und lernfähigen Tierindividuen erwiesen ? Nicht
auszudenken !
Es gibt noch einen weiteren Grund dafür, dass sich am Umgang des
Menschen mit dem Tier nichts ändert: Tierschutz gilt als „uncool“.
Dieser Satz fiel , - und ich denke, das ist eine sehr gute
Charakterisierung der Lage -, als ich mich bei einer renommierten und
für ihre politische Arbeit geschätzten Berliner Bühne um ein
Diskussionsforum zum Thema „Massentierhaltung“ bemühte. Tierschutz ?
Müdes Abwinken. Uncooles Thema. Das sagte mir eine befreundete Frau ,
die mit zur Leitung des Theaters gehört und mit unserem Anliegen total
solidarisch ist: hat leider kaum Chancen. In was für einer idiotisch
„vergletscherten“ Gesellschaft sind wir denn eigentlich angekommen, in
der es „uncool“ ist, Mitgefühl zu haben, in der es aber anscheinend
supercool ist, aggressiv auf der Bühne zu agieren ? Wie irregeleitet das
doch ist: Coolsein und Aggressivsein als ästhetische Konvention, wie
wenig Raum das lässt für Nachdenklichkeit und Kurskorrekturen , und :
wie viel Arroganz steckt dahinter angesichts des unsäglichen Leids der
Tiere.
Zurück zu Haßleben.
Wir haben damit angefangen, uns gegen die industrielle
Schweinemastanlage zu wenden, und wir sahen, dass es dabei nicht bleiben
kann.
Es geht mitnichten nur um Haßleben, welches allerdings zum Präzedenzfall
wird. Es geht auch um den ganzen Osten Deutschlands, und geht es weit
über Deutschlands und Europas Grenzen hinaus, was hier passiert. Es geht
auch nicht nur um die Bedingungen der Tierhaltung. Es geht um unsere
Böden, die ohnehin geschädigt sind, und deren Erträgen offensichtlich
nur noch mit genmanipuliertem Saatgut Wachstum abgepresst werden kann,
anstatt dass sie sich regenerieren können. Es geht um unsere Ernährung,
es geht um unsere Gesundheit, um den Wald, die Luft, das Wasser, es geht
schließlich um die Bedingungen des Hungers in der Dritten Welt, - ja, es
geht um die ganze Erde, und das ist überhaupt nicht pathetisch gemeint,
sondern der sehr ernüchternde Gedanke am Ende. Es ist ein Kulturkampf.
Wenn ich biblisch denken würde, - und hier bin ich ja in einer Kirche
und da kann man das ja ruhig auch mal als Laie tun, - so würde ich
sagen: die Menschen tun nichts ungestraft. Schweine- und Geflügelpest,
BSE und Vogelgrippe : die Natur schlägt zurück, weil wir so nicht mit
ihr und ihren Geschöpfen umgehen dürfen. Noch lieber möchte ich aber ein
Zitat Artur Schopenhauers benutzen. Wer Schopenhauer ein wenig kennt,
der weiß, dass man es hier gewiss nicht mit einer naiv- sentimentalen
Natur zu tun hat. Schopenhauer sagt, zweihundert Jahre vor dieser
Veranstaltung:
" Die vermeintliche Rechtlosigkeit der Tiere, der Wahn, dass unser
Handeln gegen sie ohne moralische Bedeutung sei ... ist
geradezu eine empörende Rohheit und Barbarei des Occidents“....
Wobei er heute wohl nicht mehr „Occident“ sagen würde, sondern
wahrscheinlich Industrienationen, d.h. der Nationen, die ihre Verbindung
zur Natur verloren haben.
Mir selbst bleibt noch, zu sagen, dass wir Sie um Ihre Mithilfe und
Unterstützung bitten, ideell oder materiell. Wir tun wirklich, was wir
können, aber wir sind nur eine kleine Bürgerinitiative, und natürlich
sind wir in einem Kampf zwischen David und Goliath. |